
Dass bei einem solchen Vorhaben, Schweden der Länge nach zu Fuß zu durchqueren, kurzfristige Anpassungen notwendig sind, liegt im Grund auf der Hand und dennoch fiel es, insbesondere mir, bisher schwer, „Umplanungen“ zu akzeptieren. Irgendwie hatte ich die Vorstellung, dass wir die grobe Route von Süd nach Nord stehen haben und das dann „einfach“ wandern, ganz gleich was kommt. Aber so einfach ist es dann ja doch nicht und so fordert die Tour doch mehr Flexibilität und Spontanität von uns, als ich gedacht hätte. Die Suche und Entscheidung „wo können wir schlafen?“ und „wo bekommen wir etwas zu essen?“ nimmt doch viel Raum, Planung und eben Anstrengung in Anspruch und ist anders als die Wandertouren, die ich bisher machte, wo am Zielpunkt immer eine Unterkunft, Pension, Hütte, Restaurant, Imbiss etc. war. Da konnte ich tagsüber wirklich „nur“ wandern und musste mir um nichts Gedanken machen. Das ist hier schon etwas anderes und ich bin mega froh, dass Tobi nicht nur Freude daran hat, diese wichtigen Details zu planen, sondern es einfach auch mega gut kann. So kristallisieren sich auf Tour immer mehr Aufgaben heraus, die der eine oder andere übernimmt, weil sie ihm leichter fallen als dem anderen. Aber das ist ein weiteres Thema, dazu ein anderes Mal mehr. Hier mal ein wenig zu unserem Abschnitt auf dem südlichen Kungsleden.
Kurz noch zum Thema „Tour-Anpassung“: So ist es zum Beispiel viel viel wärmer bzw. heißer als wir dachten und die Mückenpopulation inklusive Bremsen und Wespen viel stärker und auch aggressiver als gedacht. Gestern sprachen wir noch mit einer Schweizerin, die seit sieben Jahren hier in Lappland lebt, und sie bestätigte uns erneut, dass sie so viele Mücken noch nie erlebt hätte in der Zeit. Also überlegten wir gemeinsam mit unseren Freunden in deren Hütte, ob es wirklich Sinn machen würde, den südlichen Kungsleden in Sälen zu beginnen (hier ist der offizielle Startpunkt) oder erst später einzusteigen. Denn einige Zeit hinter Sälen führt der Kungsleden durch den Rogen und dieses Gebiet ist wunderschön, aber eben extrem viel Moorlandschaft, was wiederum ein beliebter Lebensraum für Mücken ist 😊 Also was tun?
Die Entscheidung: Wir wandern den ersten Teil einfach später und steigen in Fjällnäs ein und wandern bis Enafors (ein Dorf direkt neben dem offiziellen Zielpunkt Storlien). Leopold, Irene und ihr Hund Buco mussten sich leider nach vier Tagen gemeinsamen Wanderns bei Helags von uns verabschieden, da sie wieder nach Hause mussten. Bis dahin hatten wir eine tolle, lustige, sehr bereichernde Zeit zusammen in den Bergen.
Wir blieben eine Nacht auf dem Campingplatz in Fjällnäs, um dann am nächsten Morgen den Aufstieg in die Berge anzugehen. Die ganze Nacht hatte es geregnet und wir stellten uns schon auf regenreiche Tage in den Bergen ein, aber am nächsten Morgen klarte es immer mehr auf, sodass wir den Aufstieg trockenen Fußes recht schnell meisterten.
Es ist schwer zu beschreiben, welches Gefühl sich bei uns beiden breit machte, als wir endlich in den Bergen oberhalb der Baumgrenze waren und in die Weite schauen konnten. Ich finde es ist ein Gefühl von „Freiheit“ nach oben; nichts engt einen von oben her ein. Der Kopf scheint auf einmal leer und man kann besser durchatmen oder meint mehr Bewegungsraum zu haben und die mächtigen, großen Bergen geben einem das Gefühl, ganz schön klein zu sein und dennoch irgendwie groß, wenn man sie erklommen hat. Es ist schwer zu beschreiben. Auf jeden Fall fühlten wir uns super wohl hier oben und genossen die Blicke und Augenblicke sehr.
Der Aufstieg war relativ steil, aber nicht sonderlich schwer, da es ein gut gehbarer Weg mit wenig Geröll oder Matsch war. Eine erste kleine Snackpause machten wir in einer Schutzhütte, denn die war nicht nur gemütlich und kühl, sondern eben auch mückenfrei. Ein kleines, aber wichtiges Detail in diesen sommerlichen Zeiten. Gemeinsam gingen wir immer um die 15 Kilometer am Tag mit so einigen Flußdurchquerungen, wo das Wasser gut bis zur Mitte der Waden ging. An einem Tag war ich doch recht erschöpft von der langen Wanderung und bin einfach geradeaus durchgegangen, ohne mir die Mühe zu machen, die Schuhe auszuziehen. Ich hatte einfach keine Lust mehr und wollte nur noch ankommen, was essen und mich setzen und entspannen. Diese Wasserflut war nicht sooo super für die Wanderschuhe, aber sie halten tapfer durch und sind mittlerweile auch wieder trocken.
Man kann den südlichen Kungsleden wirklich gut mit ganz unterschiedlicher Fitness wandern, denn es gibt zwar mal Steigungen, aber sie halten sich echt im Rahmen und sind überschaubar und gut machbar und zwischendurch gibt es lange Passagen, in denen man quasi auf dem Kamm läuft und es geradeaus geht und man die wunderbaren Bergpanoramen genießen kann. Es gibt ausreichend flache Stellen, wo man das Zelt aufstellen kann und Wasser ist aufgrund der Schneeschmelze und der zahlreichen Flüsse und Seen generell dort oben kein Problem. Und das Wasser schmeckt mega gut. Es ist so klar, dass es durchsichtig ist und einfach so kalt, dass es eine super Erfrischung und Stärkung ist. Neben den Schutzhütten (neben ihnen ist so gut wie immer auch eine Trockentoilette) gibt es auf dem südlichen Kungsleden in regelmäßigen Abständen auch Fjällstationen, in denen man einige Lebensmittel kaufen und theoretisch auch übernachten kann. Sie gehören so gut wie immer der STF an. Wir haben dort nie übernachtet, aber auf der Fjällstation Helags haben wir uns eine Waffel mit Sahne und Erdbeerkompott gegönnt. Es war ein Hochgenuss. Ein besonderes Highlight kam dort noch dazu, dass wir quasi Midsommar-Entertainment geboten bekamen. Die Mitarbeitenden der Fjällstation tanzten und sangen rund um den Midsommar-Baum, sodass wir auch ein wenig dieser schönen schwedischen Tradition miterlebten.
Die größte Herausforderung auf diesem Wanderabschnitt war tatsächlich wieder das Wetter, dem man ja unterwegs gnadenlos ausgesetzt ist. Es ist ja klar, dass es eigentlich kein perfektes Wanderwetter gibt, das haben wir mittlerweile schon verstanden und akzeptiert. Aber einen Pausentag einzulegen, während die Sonne einfach noch mal intensiver in den Höhen ist als im Tal und man einfach keinen Schatten hat, da es keine Bäume gibt und es im Zelt zu heiß ist, wenn schon draußen 28 Grad sind, und man gleichzeitig nicht draußen ruhig sitzen kann, weil man dann von Mücken gegessen wird, macht es doch zu einem unruhigen Pausentag, bei dem jeder Windzug einem ein Strahlen aufs Gesicht bringt. Wieder eine Erfahrung reicher. Und es wird ja auch nicht mehr dunkel zurzeit, sodass die Sonne auch noch abends um neun Uhr hoch am Himmel steht und ordentlich Kraft hat.
Und trotz Anspannung an so einem Tag oder auch unterschiedlichen Herausforderungen an den anderen Tagen oder auch mal Verzweiflung, ob man den kilometerlangen, dann doch gerölligen Abstieg nach Enafors mit ziehendem Hund und 25 Kilo auf dem Rücken schafft – wenn man dann in die Ferne blickt, diese Weite sieht, diese unbeschreibliche Natur fast aufsaugt, Rentierherden beobachtet, sich mit eiskaltem Wasser erfrischt und sich, ohne mit der Wimper zu zucken, mit einer kompletten Tafel Schokolade stärkt, weil man einfach Energienachschub braucht, man gemeinsam das Tagesziel erreicht hat und sich froh in den Arm nimmt und diese unfassbare Stille beim ersten Kaffee am Morgen genießt (insbesondere mein tägliches Highlight) – dann können wir beide einfach nur Lächeln und es geht uns gut (und Mack fällt abends auch immer müde und zufrieden in einen traumreichen Schlaf).
Kurz vor dem Abstieg nach Enafors ging es noch mal durch steiniges Gelände bergauf, das uns beide doch sehr an Schottland erinnerte. Da an den beiden Tagen auch noch viel Nebel und Regeneinheiten dazu kamen, passte dies auch in den Vergleich. Wir genossen Nebel und Regen nach den sonnenreichen Tagen sehr und waren gleichzeitig auch froh, dass für den Abstieg wieder die Sonne hervorkam, denn der hatte es echt in sich. Es war so steil und so viel Geröll, das es ein reinstes Hüpfen von Stein zu Stein war und man wahrlich jeden Schritt gut überlegen musste. Das machte das Vorankomm-Tempo dann doch recht langsam, was theoretisch nicht schlimm ist, aber in diesem Fall wollten wir um 18.30 Uhr den Zug von Enafors nach Östersund bekommen und hatten somit, seit langer Zeit mal wieder „Zeitdruck“. Lange Pausen sparten wir uns, sondern zogen die 18 Kilometer mehr oder weniger in einem durch und was soll ich sagen: wir haben es geschafft und den Zug gut erreicht, aber es ging doch so ziemlich an die Substanz und gleichzeitig aber auch ein stolzes Gefühl es so „durchgezogen“ zu haben und zu merken, dass die Fitness sich im Laufe der rund 850 Kilometer wandern, doch ein wenig verändert hat. Wir fuhren nach Östersund in eine kleine Unterkunft, da es nach ca. zehn Tagen unterwegs sein wieder mal Zeit für eine richtige Dusche, Wäsche waschen und ohne Sonne und Mücken entspannen war. Zudem gibt es keine Verbindung zwischen dem südlichen und nördlichen Kungsleden, außer den E 1 über Norwegen, sodass wir auch noch keine genaue Idee hatten, wie wir weiter wandern wollten. Dazu kam bereits oft erwähnte „Hitze-Mücken-Wellen-Situation“, die natürlich nicht nur für uns belastend ist, sondern auch für Mack, dem ja bereits ab 14 Grad zu warm ist. Und zu guter Letzt mussten wir feststellen, dass es auf dem gesamten nördlichen Kungsleden (474 Kilometer) keine Möglichkeit gibt, Hundefutter nachzukaufen (so etwas gehört nicht zum Sortiment der Fjällstationen) und er selbst ca. 4 Kilo tragen kann, aber wir nicht kiloweisen den Rest tragen können. Es war also wieder Zeit, um ein wenig umzuplanen und Anpassungen vorzunehmen. Wir wissen ja so langsam, wie das geht 😊
Durch eine kleine Pause in Östersund, erhofften wir uns mehr Klarheit, wie es nun im Juli weiter geht. Und so war es dann auch. Tobi holte an einem Tag das Auto, welches wir in Funäsdalen bei Bekannten geparkt hatten, und wir entschlossen uns, mit dem Auto langsam nach Abisko zu fahren und von dort aus einige Rundwanderetappen (von zum Beispiel auch 110 Kilometer) zu wandern. Wir hoffen zurzeit, so seltsam das vielleicht klingen mag, einfach auf mehr Wind, um weniger Mücken zu haben und ein bisschen weniger Hitze. Und sollte diese Idee nicht gut für uns drei sein, planen wir noch mal um und gehen vielleicht ein wenig mehr Richtung Ostküste, mit dem Gedanken, dass am Meer mehr Wind herrscht. Es bleibt spannend und wir immer in Bewegung.