Von Malmö nach Abisko – Eine Reise auf unsere Art

Im Juli 2021 haben wir unsere Wanderung durch Schweden in Abisko beendet. Wir sind nicht jeden Meter zu Fuß gelaufen und haben Zeitpläne und Streckenführung schnell über den Haufen geworfen und sind einfach so gereist, wie es uns Dreien am besten passte. Dadurch hatten wir Zeit. Zeit, um die Orte und Begegnungen zu genießen und Zeit, auch einmal innezuhalten. Innehalten, um zu realisieren, dass es nicht nur ein Projekt ist, was durchgezogen werden soll, sondern, dass es ein Start für eine Reise ist, die noch kein Ende und keinen Zielpunkt hat. Es bestehen keine Termine mehr, wann wir wieder zu Hause sein müssen und wenn uns ein Platz gefällt, können wir einfach länger dort verweilen und es fühlt sich wie ein anderes Leben als „damals“ an… Damals – das war vor 4 Monaten. Es ist so viel passiert in dieser Zeit und wenn ich mit Menschen von zu Hause spreche und sie fragen, wie es war oder ist, dann weiß ich meistens nicht, was ich antworten soll. Ich könnte von den Menschen erzählen, die uns ihre Geschichten anvertraut haben, die uns auf die ein oder andere Weise geholfen und eingeladen haben oder wir bei einem kurzen Gespräch so viel Offenheit und Wärme erfahren haben, was ich sonst selten zuvor erlebte. Ich könnte von der Natur erzählen, als nach einer kalten Nacht morgens die ganze Welt wieder still und weiß vor uns lag oder wie der Regen sachte nachts auf das Metalldach des Windshelters prasselte und uns in den Schlaf wiegte. Vielleicht auch von der Mitternachtssonne, die uns wach hielt und dennoch so bezaubernde Farben an den Himmel malte, die kein Foto einfangen konnte oder auch die prasselnden Lagerfeuer, die uns nach einem kalten, nassen und anstrengenden Tag wärmten oder die Ausblicke, die einen wie gebannt einfach nur im Regen in den Bergen sitzen und staunen ließen und dem Anblick unzähliger Rentiere, die an den Hängen an uns vorbei zogen. Ich könnte auch von all den Strapazen sprechen, die man auf den idyllischen Fotos nie sieht. Von den unzähligen Mückenstichen, dem stetigen Summen in und um unserem Zelt, der beißenden Kälte, der erschlagenden Hitze, Durst, Hunger, Erschöpfung, Anstrengung, des Sturms der unser Zelt beschädigte oder der starke Regen der einen Fluss über die Ufer treten ließ und unser Zelt überschwemmte. All diese Erlebnisse machten diese Wanderung aus und auf ihre Art waren sie alle gut und wichtig.

Ich denke manche Dinge muss man selbst erfahren, sonst wird man sie nur schwer verstehen können und so bleibe ich still.

Unsere Wanderung war viel mehr als nur ein Projekt, was abgeschlossen werden soll. Als wir damals starteten, gab es Pläne für die Wegstrecke, den zu laufenden Tageskilometern usw… Warum? Weil man das halt so macht. Jeder Tag ist strukturiert und geplant. So hat man es jahrelang gelernt und obwohl man frei hat, soll und will man ja auch bitteschön produktiv sein! Nach einer Woche haben wir diese Pläne über den Haufen geworfen und haben ab dann unsere Wege so zurück gelegt, wie es für uns Drei am schönsten und am besten war. Es fiel damit sehr viel Last und Stress von unseren Schultern und dadurch wurde dieses Projekt zu einer Reise, die auch zu mir selbst führte.

Es ist komisch, spätestens jetzt wo unsere Tour beendet ist, fragen uns ständig Freunde oder Angehörige, was wir jetzt machen wollen. So als ob diese Reise einfach ein Punkt ist, der im Leben möglichst schnell abgehakt werden musste, um jetzt sofort wieder was Neues zu tun. Meine Antwort ist meist so einfach wie verstörend. Ich will Leben und glücklich sein. Leider spielt diese Antwort oft nicht so eine Rolle, denn die nächste Frage ist gleich:Und wovon wollt ihr leben? Natürlich eine nicht ganz unwichtige Frage, aber ist dies wirklich die wichtigste Frage im Leben? Ich weiß heute, wenn ich glücklich bin und mein Leben frei lebe, dann wird sich etwas ergeben. Denn nur dann habe ich die Kreativitiät und den Kopf so frei, dass ich etwas erschaffen kann, was zu meinen Lebensvorstellungen passt. Eine Erkenntnis für die ich sehr dankbar bin.

Die Frage ist dann noch, wieviel ich eigentlich im Leben noch brauche? Wenn das ganze Leben in einen Rucksack passt und ich mein Haus, meine Küche, mein Schlafzimmer und meinen Kleiderschrank einfach mitnehmen kann, wofür brauche ich dann den ganzen Ballast, der unnütz gerade zu Hause rum liegt? Und was ist, wenn ich das alles nicht mehr brauche? Wofür brauche ich dann einen Vollzeitjob, der mir keinen Spaß macht, nur um Zeug zu kaufen, das ich nicht brauche und ein großes Haus zu haben, um dieses ganze Zeug, was ich nicht brauche, dann zu lagern? Vor allem brauche und vermisse ich das alles nicht mehr. Das meiste sind dann doch nur Statussymbole gewesen, die eigentlich keinen Nutzen hatten, außer vielleicht andere zu beeindrucken oder zu blenden.

Die Definition von Luxus hat sich im Laufe der Zeit auch geändert. Luxus ist ein sauberes T-Shirt, sauberes Trinkwasser, Essen, ein Dach über dem Kopf (das kann auch ein Zelt sein), Wärme und vor allem Zeit für Freunde. Dinge, die mir gut tun und mit den Menschen, die mir wichtig sind. Mehr braucht es nicht mehr und anstatt für all diesen Ballast Geld auszugeben, schaffe ich Lebenszeit, die ich nur noch mit schönen Dingen füllen möchte und dafür reichen auch 2 t-Shirts, eine lange und eine kurze Hose und ein Zelt + Schlafsack. Vielleicht noch ein warmes Plätzchen im Winter aber das kann ich auch bei Freunden oder in einer kleinen Hütte oder sonst wo finden.

Ich bin dankbar für diese Reise. Dankbar für all die Erlebnisse, die mich heute so klar denken lassen. Dankbar für die Zeit, die ich mit Insa und Mack verbringen durfte. Dankbar für all die Zeit, die wir hatten und haben. Dankbar, nicht irgendwo etwas tun zu müssen, was ich nicht mehr will. Dankbar, meine Zeit draußen verbringen zu dürfen. Dankbar, nicht mehr mit Leuten arbeiten zu müssen, die ich eigentlich nicht leiden kann und nicht verstehe. Dankbar, frei zu sein. Dankbar, wieder mit offenen Augen durchs Leben zu gehen. Dankbar, neue Dinge tun zu dürfen. Dankbar, alte Pfade verlassen zu haben. Dankbar, einfach zu leben.

Diese Zeilen entstanden an einem sonnigen Tag am 10. August 2021. Einen Dienstag um 12 Uhr. Ich sitze direkt an einem Strand etwas südlich des Polarkreises, die Sonne scheint und die Wellen brechen sanft an einen paar Steinen am Strand. Auf dem Meer fährt gerade ein alter Segler entlang bis er am Horizont verschwindet. Es sind keine anderen Menschen in der Nähe außer meinen Lieben. Mack schläft sanft hinter mir im Schatten und Insa pflückt wilde Himbeeren, die hier auf einer Landzunge wachsen. Das Leben ist schön, ich brauche nicht mehr.

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